Der unterfränkischen Stadt Gerolzhofen ist es gelungen, als einzige Stadt in Deutschland, seit 1955 Seifenkistenrennen in ununterbrochener Reihenfolge zu veranstalten. Unglaublich! Was ist das Geheimnis dahinter?

Die Motorsportvereinigung 1898 Gerolzhofen e.V. im ADAC (kurz MSVg Gerolzhofen, Geo) wurde 1898 von einer kleinen Schar begeisterter Radsportfreunde als „Radfahrverein Gerolzhofen“ gegründet.
Die Zeit des Hochrades war längst vorbei, denn die Geburtsstunde der Freilaufnabe erlaubte ganz neue Dimensionen.
Die 98er wuchsen schnell zu einer engen Gemeinschaft zusammen. Der Verein erarbeitete sich sowohl im Kunstradsport, im Radrennsport als auch im Saalradsport einen klangvollen Namen. Die Aufgeschlossenheit und das immerwährende Interesse an Neuem führten den Verein in immer weitere Entwicklungsstufen und zu vielen neuen Abteilungen – bis heute. 1927 stoßen die Kraftfahrer dazu. 1953, nach dem Anschluss an den ADAC, erfolgte die Umbenennung in den noch heute gültigen Namen.

Am 5. Juni 1955 fand das erste Seifenkistenrennen statt.

Programmheft zum 1. Seifenkistenrennen in Gerolzhofen 1955.

Was lag 1955 in der Luft, dass es bis heute zu einer ununterbrochenen Perlenkette von Rennen kommen konnte?

Von 1955 bis 1962, 1. Seifenkisten-Rennstrecke in der Dingolshäuserstraße.1955 gab es nicht viel. Wirklich nicht viel. Und da stand plötzlich die Idee Seifenkiste im Raum! Und wie durch einen Virus infiziert explodierte Energie. Plötzlich kamen unterschiedlichste Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen und Motiven zusammen (auch mancher Handel wurde nebenbei eingefädelt). Alle haben sich hellauf begeistert fürs Konstruieren, Bauen, Machen und gemeinsame Schaffen.
Die Kinder nahmen das auf wie ausgedörrte Schwämme. Begeisterung pur! Der Seifenkistenvirus konnte in Gerolzhofen auf keinen aufnahmebereiteren Boden fallen, bei Jung und Alt. Die Angesteckten, steckten weitere an und die wieder andere. Ein Schneeball kam ins Rollen, der auch heute noch rollt – wenn auch etwas leiser.

Das Besondere dabei war die Gemeinsamkeit, der Zusammenhalt. Ideen schwirrten herum, wurden geteilt, verworfen, weiterverfolgt, ausgetüftelt, wiederum von Jung und Alt.
Für einen Verein, der sich dem Neuen verpflichtet fühlt und für den Jugendförderung höchste Priorität hat, ein Geschenk.

Von 1963 bis 1970, 2. Seifenkisten-Rennstrecke in der Schallfelderstraße - unten.Aber warum in Gerolzhofen und warum so beständig? Es fängt mit den Keimzellen an.

Hans Reinstein und Konrad Haub: Angegangen ist es bei Karl Kern, Alois Lutz und der Firma Lutz (Fahrzeugfabrik); derMaul, Valentin, der Fischer waren dort. Das waren die Drahtzieher, die dann gegründet haben. Der Pfaff, Hans dazu …
Hans Reinstein: Immer wieder stößt man auf den Namen Lutz.
Winfried Haub: Mitsamt dem Marschall, Hans, dem Süß, Josef, dem Wachtel, Frank …

Diese Keimzelle, die sich bald nicht mehr auf einen kleinen Kreis beschränkte, aber als Kern wohl ein kräftiger Motor blieb, half dem Virus in den ersten Jahren sehr sehr sehr kräftig zu werden.

Von 1971 bis 1980, 3. Seifenkisten-Rennstrecke in der Schallfelderstraße - oben.Theresa Haub: Es waren so viele infiziert und haben weitere angesteckt. Es sind ja heute noch viele infiziert! Die, die früher mitgefahren sind, haben das ja weitergegeben. Der Hans hat`s weitergegeben, der Winnie hat`s weitergegeben, mein Papa hat`s weitergegeben. Und ich denke dann, es hat dann seinen Lauf gemacht!

Wenn man hört, wie viel in Gerolzhofen von den Kindern, zusammen mit den Eltern gebaut, gemacht und dann gefahren wurde, kann man nur staunen. Man bekommt das Gefühl, dass in jedem Haus mindestens eine Seifenkiste und viele (Opel-)Räder gelagert werden.

Aber all das hätte ja nach ein paar Jahren wieder einschlafen können, oder?

Kurt Vetter: Zur Gründung muss man auch sagen, dass da der Vorreiter eigentlich Opel war, mit seiner Unterstützung des Seifenkistensports, z.B. durch das zur Verfügung stellen der Bausätze. Es war klar, wenn man sich überlegt, man hat einen Satz Räder bekommen, die Achsen und die Lenkung und da musste man was daraus machen. Und da ist was draus gemacht worden! Viele, die die Möglichkeit nicht oder zunächst nicht gehabt haben, die sind halt zum Seifenkistenrennen gefahren, und haben sich das angeschaut.

Ab 1981 bis heute, 4. Seifenkisten-Rennstrecke in der Berliner Straße.Winfried Haub: Darüber habe ich früher natürlich nicht nachgedacht, als ich in den 60er, 70er gefahren bin. Was mir aufgefallen ist, dass aus der Fahrzeugfabrik Leute mit einem starken Interesse für uns kamen. Total interessierte Leute, die gleichen Leute, die auch gleichzeitig draußen im MSVg wichtig waren.
Es waren gebündelt viele
Leute da.  Aber damals war das ja in den Sechzigern überall gebündelt. Warum hat es anderswo aufgehört?
Da ist wirklich ein harter Kern in Geo übriggeblieben, finde ich. Also das gebündelte technische Interesse und das Interesse am Rennen überhaupt!
Das war ja ein Fieber damals in den 50er Jahren. Die Rennställe haben sich ja gerissen.
Es war ja ein größeres Fest als das Volksfest. Und man sieht es an den alten Bildern, was da für Leute aus Industrie und Politik dabei waren, Promis und so. Und das mit Geo finde ich, das war in den Adern drin. Das wollte auf keinen Fall aufhören. Finde ich.

Eberhard Wolf, 1964: Stadtmeister von Gerolzhofen und Deutscher Meister in seiner SeifenkisteKurt Vetter: Ja gut, wir haben mit einfachen Mitteln gute Kisten gebaut, haben unter anderem auch eine Deutsche Meisterschaft gewonnen (Norbert Bauer: Eberhard Wolf, 1964; Jana Brandt, 2022: Sarah Brandt, 2023; Jana Brandt, 2024).
Opel hat seinerzeit, 23 Jahre lang, wenn ich es richtig im Kopf habe, die Deutsche Meisterschaft aufgestellt. Und dann hat es ja nach der Deutschen Meisterschaft für die schnellsten 20 die Deutschlandfahrt gegeben.
Das war natürlich für die Kinder ein riesiger Ansporn und vor allem ein Highlight. An der Deutschen teilnehmen und so eine Rundfahrt mitzumachen. Das war natürlich immer das gewisse Zugpferd. Ich will auf die Deutsche. Ich will da mal mitfahren.
Und vom Verein her ist es ja generell unterstützt worden, immer wieder. Ohne den Verein wäre auch nichts gelaufen. Inge Engert hat im Hintergrund enorm unterstützt. Günter Engert, zu meiner Zeit der Vorstand, hat praktisch mit Inge zusammen alles dann in der Oberhand gehalten.

Günter Engert: Das Rennen 1955 war eine Sensation! Es gab Zuschauer ohne Ende, weil es wirklich sensationell war.

Norbert Bauer: Du bist mitgefahren, hattest die Startnummer 10 und alles miterlebt! 1958, in Deinem letzten Rennjahr habt ihr es zu dritt aus Geo zur Bundesmeisterschaft geschafft. Du bist Vierter geworden und hast Dich für die Deutschlandfahrt qualifiziert.

Günter Engert: Ja, der 4. Platz in Duisburg und die Deutschland-Rundfahrtwaren das absolute Highlight für mich. Getoppt hat das dann Eberhard Wolf mit dem ersten Sieg bei einer Bundesmeisterschaft für Geo. 5000,- bare DM als Ausbildungsbeihilfe hat er bekommen. Durch den Sieg 1964 durfte er nach Akron, Ohio, USA zur Weltmeisterschaft und belegte dort in der Gästeklasse den 4. Platz.

Emeran Ach, Günter Engert und Peter Lauer - Die Norbert Bauer: Wow!

Günter Engert: Unter den vielen Rennleitern, die alle großes beigesteuert haben, begründen 5 jeweils eine Ära. Das waren die vom 8.-19. Rennen mit Ludwig Marschall, er war von Anfang an dabei, vom 20.-24. mit Wolfgang Lustig, vom 25.-35 mit Werner Ach, vom 36. -52. mit Kurt Vetter und die vom 53.-62. Rennen mit Konrad Haub.  Alle haben Schwerpunkte gesetzt, aber für alle war es wichtig, dass es unbedingt weiter geht.

Ist dies ein weiterer Teil des Geo-Geheimnisses? Die vielen Rennleiter haben es offensichtlich geschafft, mit ihrem Charme und ihrer Energie die Jugend und auch die Familien zu begeistern. Gelingt das nicht, dann kommt auch niemand.

Und mit Konrad Haub, Vorstand von 2013 bis 2025, haben die Seifenkisten einen starken Motor, der den guten Ruf von Geo auch heute weit nach außen trägt.

Das Geheimnis von Gerolzhofen sind seine Menschen, seine Kinder, klein wie groß. Ihr Interesse, ihre Energie, ihr Zusammenhalt hat bewirkt, dass der Staffelstab immer weitergereicht werden konnte. Das sich immer wieder jemand dafür fand – und wenn es noch so plötzlich war!

Ja, manchmal war er schon in der Luft, der Staffelstab, aber gefallen ist er noch nie!

 

Gespräche mit Seifenkistenenthusiasten in Gerolzhofen im Mai und Juni 2023, von Norbert Bauer. Geringfügig aktualisiert im April 2025. Fotonachweis: MSVg e.V., Günter Engert und Seifenkistenfreunde Nürnberg e.V., Norbert Bauer.